Leibniz-Institut für

Ost- und Südosteuropaforschung


Die Bibliothek des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg zählt mit gegenwärtig rund 340 000 Medien zu den größten Spezialbibliotheken mit dem Sammelgebiet Osteuropa in Deutschland. Rund 20 000 davon stammen aus der Zeit vor 1945 und werden seit Mai 2022 in einem von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekt auf nationalsozialistisches Raubgut überprüft.

Das Institut entstand 2012 durch die Zusammenlegung zweier Vorgängereinrichtungen: Das Südost-Institut in München (ab 2007 in Regensburg) wurde 1930 gegründet; seine Geschichte reicht also bis in die Weimarer Republik zurück. Allerdings verbrannten 1944 infolge eines Bombenangriffs rund zwei Drittel des damaligen Bibliotheksbestandes.

Das Osteuropa-Institut in München (ab 2007 in Regensburg) wurde 1952 gegründet. Gleichwohl beginnt die Geschichte der Bibliothek schon vor diesem Datum, da in den Anfangsjahren das Netzwerk des ersten Direktors Hans Koch (1894-1959) für ihren Aufbau nutzbar gemacht wurde und im Laufe der Jahre mehrere Privatbibliotheken erworben wurden.

Vor allem drei Namen sind mit potenziellem Raubgut in der Bibliothek des IOS verbunden:

Fritz Valjavec (1909-1960) bemühte sich als Geschäftsführer des Südost-Instituts Anfang 1942 darum, Raubgut aus der Untersteiermark zu erhalten. Ob er damit Erfolg hatte, ist noch offen. Zudem besorgte er 1941 während eines Aufenthalts in Rumänien und der Bukowina Bücher, die ebenso für seine Privatbibliothek wie für das Südost-Institut bestimmt gewesen und sowohl rechtmäßig als auch unrechtmäßig erworben worden sein könnten. Ob sie jemals nach München gelangen, ist unklar. Das Südost-Institut kaufte Valjavecʼ Privatbibliothek 1965 an.

Hans Koch war zwischen dem Überfall auf die Sowjetunion und Anfang 1942 Offizier der Abwehr beim Oberkommando der Heeresgruppe Süd und zugleich der Verbindungsoffizier von Alfred Rosenberg in dieser Heeresgruppe. Folglich hatte er Gelegenheit, sich für seine Privatbibliothek zu bereichern. Letztere kaufte das Osteuropa-Institut 1959 an.

Wilfried Krallert (1912-1969) war Geograf und Historiker. Er leitete während des Krieges die Publikationsstelle Wien und gehörte dem Sonderkommando Künsberg an, das in erster Linie für den Raub von Karten und statistischen Rohdaten zuständig war, aber auch Bücher mitnahm. Krallert war in Jugoslawien und der Sowjetunion eingesetzt. Er unterhielt sowohl zu Valjavec als auch zu Koch engen persönlichen Kontakt und handelte nach dem Krieg im großen Stil mit den Restbeständen der Publikationsstelle. Zu seinen Kunden gehörten neben anderen Einrichtungen das Südost-Institut und das Osteuropa-Institut. Nach seinem Tod verkaufte auch seine geschiedene Frau Gertrud (1960-1980 die Leiterin der Bibliothek des Südost-Instituts) dem Südost-Institut Bücher, die aus diesem Zusammenhang stammen dürften.

Die Provenienzforschung am IOS wird neue Erkenntnisse über Bibliotheksplünderungen in Gebieten bringen, die im Zweiten Weltkrieg in von der Wehrmacht besetzt waren. Das gilt vorrangig für Osteuropa, aber nicht nur, da beispielsweise viel Fachliteratur über Osteuropa auf Französisch verfasst wurde und dementsprechend in französischen Bibliotheken verfügbar war. Zudem lässt sich am Beispiel der Publikationsstelle Wien nachvollziehen, wie Raubgut von den zuvor für die Plünderungen Verantwortlichen nach 1945 wieder in ihren Besitz gebracht und dann weiterverkauft wurde. Nicht zuletzt zeigt sich, auf welche Weise vor 1945 bestehende Netzwerke nach dem Krieg als Verteilkanäle für Raubgut dienten.