Museum Fünf Kontinente


Das Museum Fünf Kontinente verfügt seit dem 1.1.2017 über eine Referentin für Provenienzforschung, die ihre Funktion aber neben ihrer eigentlichen Kuratorentätigkeit als Leiterin der Abteilung Ozeanien ausübt. Daher können Bestände hinsichtlich möglichem NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut nicht systematisch, sondern nur stichprobenhaft bzw. bei begründetem Verdacht geprüft werden. Eine Ausnahme bildete das durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und das Bayerische Staatsministerium geförderte Projekt Hintergründe und Provenienzen von Erwerbungen chinesischer Kunst aus sogenannten „Judenauktionen“ in Berlin 1935 (s. u.).

 Gemäß seinen Beständen liegt der Schwerpunkt der Provenienzforschung des Museums Fünf Kontinente auf kolonialzeitlichem Sammlungsgut und der Rekonstruktion der Sammelumstände. Die Referentin für Provenienzforschung ist als Expertin für in deutschen Museen befindliche Objekte aus Ozeanien Mitglied in der interdisziplinären Arbeitsgruppe Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialem Kontext des Deutschen Museumsbundes, die den Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten als Handreichungen für deutsche Museen (aller Sparten) herausgegeben hat. 
weitere Informationen finden Sie hier.

Hintergründe und Provenienzen von Erwerbungen chinesischer Kunst aus sogenannten „Judenauktionen“ in Berlin 1935

Gefördert durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung (AfP), Berlin (übergegangen in Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste) und durch das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst von März 2014 bis Mai 2016, durchgeführt von Dr. Ilse von zur Mühlen

Vor dem Hintergrund einer Restitutionsforderung zu drei altchinesischen Objekten, die das damalige Museum für Völkerkunde (heute Museum Fünf Kontinente) 1935 auf einer Auktion bei Paul Graupe in Berlin sowie nach 1945 durch Tausch und Kauf erworben hatte, erforschte Dr. Ilse von zur Mühlen im Auftrag des Museums Fünf Kontinente die Vorprovenienzen und Hintergründe der Erwerbungen. Begleitet wurde das Projekt von Dr. Bruno J. Richtsfeld, dem Leiter der Abteilung Inner-, Nord- und Ostasien des Museums Fünf Kontinente, der im Vorfeld weitere 37 Objekte aus demselben Versteigerungsbestand feststellte. Zu überprüfen war, ob die Objekte im Sinne des Washingtoner Abkommens von 1998 als NS-verfolgungsbedingt entzogen einzuschätzen waren.

Die in Frage stehenden 40 Inventarnummern wurden 1935 in Berlin durch das Auktionshaus Paul Graupe während zweier Auktionen als Ware der Kunsthandlung Dr. Otto Burchard & Co. GmbH in Liquidation versteigert. Die Kunsthandlung gehörte zu dem internationalen Kunsthandelskonzern Margraf & Co. GmbH, dessen Geschäftsanteile den langjährigen Mitarbeitern Jacob und Rosa Oppenheimer 1929 als Vermächtnis zugesprochen worden waren. Das Ehepaar Oppenheimer wurde in der Zeit des NS-Regimes von Beginn an verfolgt. Beide waren jüdischen Glaubens und gingen bereits im April 1933 ins Exil nach Frankreich: Jacob Oppenheimer starb 1941 infolge einer Internierung durch die Franzosen, Rosa Oppenheimer wurde 1943 in Auschwitz ermordet.

Die Recherchen ergaben, dass die oben genannte Versteigerung infolge einer bereits seit 1929 bestehenden Überschuldung der Kunsthandelsgesellschaft durch riskante Handelsgeschäfte und die Aufnahme von Krediten beim Berliner Bankhaus Jacquier & Securius stattfand. Die Versteigerung erfolgte nicht aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme der NS-Behörden, sondern als Folge einer Sicherungsübereignung durch die Bank und aufgrund eines einvernehmlich gezeichneten Versteigerungsvertrags zwischen dem (jüdischen) Versteigerer Paul Graupe, dem (jüdischen) Bankhaus Jacquier & Securius sowie dem gleichfalls jüdischen Geschäftsführer des Margraf-Konzerns, Ivan Bloch, einem der Schwiegersöhne des Ehepaars Oppenheimer. Die Forschung zeigte, dass auf den Versteigerungen angemessene Preise erzielt wurden. Aus dem Erlös wurden nachweislich sämtliche Kreditschulden bei dem Bankhaus beglichen. Der verbliebene Teil wurde offensichtlich ausbezahlt, nach einem Vermerk im Buchprüfungsbericht der Bank von 1938 heißt es: „Der Mehrerlös floß Margraf zu.“ Die gleichfalls 1929 fällig gewordene Erbschaftssteuer wurde 1938 auf etwa die Hälfte reduziert, der Rest der Steuerschuld durch die Haupterbin gezahlt, während der Anteil von Jacob und Rosa Oppenheimer niedergeschlagen wurde.

Diese Forschungsergebnisse führten zu dem Schluss, dass nicht von einem NS-verfolgungsbedingten Entzug durch die Versteigerung auszugehen ist. Dieses Ergebnis wird gestützt durch eine Entscheidung des Spoliation Advisory Panel (SAP), London, vom 16.09.2015, in der die Versteigerung der Kunstwerke des Konzerns Margraf & Co. weder als NS-Zwangsverkauf noch als Versteigerung unter Wert beurteilt wird. Dem SAP zufolge könne sich der Antragsteller auch nicht auf einen „moralischen Anspruch“ berufen, so dass weder eine Rückgabe noch eine freiwillige Zahlung gerechtfertigt sei.

Der Kameruner Schiffsschnabel (Tange)

Seit den 1990er Jahren wird ein „Schiffschnabel“ (tange) oder Bugaufsatz aus der Douala-Region an der Kameruner Küste, der sich seit den 1880er Jahren in München befindet, öffentlich vom Museum Fünf Kontinente zurückgefordert. Doch erst im Jahr 2016 kam es zu einem ersten Treffen zwischen Kum’a Ndumbe, dem Rückfordernden, sowie Vertretern des Museums Fünf Kontinente und anderer staatlicher Stellen.

Das Museum hat Forschungen unterstützt, die sich mit der komplexen Geschichte und kulturellen Einbettung des Kameruner Schiffsschnabels sowie möglicher Berechtigter für eine eventuelle Rückgabe nach Kamerun beschäftigen:

Mittels des Ansatzes der kulturellen Biographie beschäftigte sich Anke Splettstösser im Rahmen ihrer durch Drittmittel geförderten Dissertation mit der Thematik (zum Aufsatz hier). Dabei forschte sie sowohl in Kamerun als auch im Museum Fünf Kontinente. Neben der Klärung der Provenienz in Zusammenarbeit mit dem Museum und Recherchen zu juristischen Rahmenbedingungen wurden dabei der Prozess der Rückgabeforderung und divergierende Dingvorstellungen sowie Praxen des Umgangs mit dem Tange/Schiffschnabel in Deutschland und Kamerun analysiert. Ebenfalls mit dem Ansatz der Objektbiografie arbeitet die Untersuchung von Barbara Johanna Heuermann von der LMU München.

Max Biermann (1856–1929) und seine Mikronesien-Sammlung

Die vom im deutschen Kolonialdienst stehenden und als Kaiserlicher Kommissar auf den Marshall-Inseln stationierten Max Biermann zusammengetragene ethnographische Sammlung  aus Mikronesien wurde systematisch wissenschaftlich bearbeitet und anhand bisher nicht gehobener Archivalien kontextualisiert. Es handelte sich um ein Teilprojekt des von 2016 bis Frühjahr 2018 laufenden, vom Europäischen Forschungsrat geförderten Pacific Presences: Unter Leitung des Museums und der Universität von Cambridge (UK) wurden europaweit Ozeanien-Sammlungen aus Mikronesien und Melanesien dokumentiert sowie aus europäischer und pazifischer Perspektive interdisziplinär und sammlungsgeschichtlich untersucht. Trotz intensiver zweijähriger Recherche, der Auffindung und Auswertung einer großen Anzahl amtlicher und privater Dokumente zu Max Biermann konnten seine Methode des Sammelns, die genauen Sammelumstände oder die mikronesischen Vorbesitzer nur ansatzweise eruiert werden. Die sammlungsgeschichtliche Bewertung der Sammlung war daher ausschließlich aufgrund vorsichtiger Kontextualisierungen möglich.